Anton

 

 

Ich selbst kam vor 35 Jahren per Notkaiserschnitt zur Welt.
Mein Sohn nun auch.
Genau wie meine eigene Mutter war auch ich bei der Geburt meines 1. Kindes bereits 35 Jahre alt.


Vergleicht man unsere Mutterpässe, sieht man viele Parallelen. Niedriges Ausgangsgewicht, geringe Zunahme insgesamt, wobei wir allerdings aber auch beide klein und schlank sind. Auch meine Mutter hatte niedrige Eisenwerte nur sollte sie 1985 noch kein Eisen zusätzlich nehmen.
Einen Test auf Schwangerschaftsdiabetes hat man damals auch noch nicht durchgeführt. Vielleicht litt meine Mutter auch darunter.
Ihre Schwangerschaft verlief mit mir allerdings problemlos. Keine Übelkeit, keine Gelüste, keine Probleme mit Kohlensäure. Kurz nach dem ET wurde sie eingeleitet, was in dem damals noch eher seltenen Notkaiserschnitt endete. Mein Leben lang habe ich nur wenige Worte über meine eigene Geburt gehört. Meine Mutter kann sich noch gut an die Worte der damaligen Hebamme erinnern: immer wenn ich Dienst habe, kommen die schwierigen Fälle. Mein Vater war nach meiner Geburt kurz bei seinen Eltern - Familienzimmer waren ja damals noch unüblich- als er wieder kam, war ich bereits in die Kinderklinik verlegt. Er wurde nicht informiert - in Zeiten ohne Handy. Er pendelte darauf tagelang zwischen seiner Frau in der einen Klinik und seiner Tochter in der anderen Klinik. Ich hatte mit Streptokokken zu kämpfen, wie ich seit kurzem durch mein eigenes U-Heft weiss.

Der ET von meinem eigenen Sohn war der 06.02.2021. Bereits am 24.01.2021 entschloss er sich allerdings die Fruchtblase zu öffnen. Sein Einzimmerappartement war ihm wohl zu eng geworden. Dank psychologischer Betreuung war ich seit dem Geburtsvorbereitungskurs, wo mein posttraumatisches Erlebnis hervorbrach - auch Babys haben Gefühle, Nervenzellen wie man heute weiß -, soweit stabilisiert worden, dass ich relativ entspannt in die Geburtsklinik fuhr. Es war der bereits 3. Krankenhaus Aufenthalt während meiner Schwangerschaft. An die Coronaregeln hatten mein Mann und ich uns schon längst gewöhnt.

 

Das Geburtsanmeldegespräch war entfallen, weil ich bereits im Dezember 2020 in der Geburtsklinik war - mit Wehenhemmern konnte die Geburt zum Glück noch aufgehalten werden. Ein Magen Darm Infekt hatte mich erwischt. Ich verließ also die Klinik am 22.12.20 frohen Mutes. Es sollten noch ein paar Bonuswochen folgen. Wir konnten einmal Weihnachten als Ehepaar feiern, nochmal Silvester zusammen verbringen. Doch noch einen Gipsabdruck machen auch wenn ich nur mickrige 5kg zunehmen sollte, die direkt nach der Geburt wieder verschwanden. In Summe waren es die wohl schönsten Tage meiner Schwangerschaft - abgesehen von unserer Hochzeit am 02.10. und dem Babybauchfotoshooting am 05.12. - , die dann plötzlich zu Ende ging. Durch die Senkwehen vom Vortag bereits völlig geschwächt, brachte mich mein Mann nun in den frühen Morgenstunden des 24.01.21 in unsere Geburtsklinik. 3 Stunden später durfte mein Mann hinzukommen. Ich war endlich unter Geburt. In Corona Zeiten eine wichtige Formulierung.

Was ich dann in der Geburtsklinik erlebte, ist für mich bis heute schwer verständlich. Es sind nun 17 Wochen vergangen. Mein Sohn ist heute 4 Monate alt - an seine ersten Lebenswochen und Monate kann ich mich leider kaum entsinnen. Erkenne mich selbst nicht auf den Bildern. Ich weiss jetzt warum mein Mann mich gar nicht erst fotografieren wollte.

Alles verlief zunächst optimal. Der Muttermund öffnete sich Stunde um Stunde, cm um cm. Nach dem die ersten Schmerzmittel nicht halfen, führte der Schmerztropf dann endlich zu Linderung. In jeder Wehe griff ich die Hände meines Mannes, fixierte seinen Blick. Als am frühen Nachmittag die Hebamme wechselte, hieß es unser Kind käme bald. Die Haare seien zu sehen. Doch die Wehenabstände blieben gross sprich bei 4-5 Minuten. Die 321-Regel nach der man erst ins Krankenhaus fahren soll, habe ich nie erreicht. So verran die Zeit. Ich lag wie ein Käfer auf dem Rücken und konnte sehen wie die Zeiger der Wanduhr immer weiter drehten. Zwischen den Wehen nickte ich ein. In den Wehen atmete ich Lachgas. Und dann wurde es immer betriebsamer im Kreißsaal. Der Assistenzarzt kam. Ich musste auf der Seite liegen, mein Mann mein Bein halten. Und dann überschlugen sich die Ereignisse. Mein Mann und ich haben dem handelnden Personal blind vertraut. Heute würden wir alles hinterfragen.

 

Musste 15 Minuten nach vollständiger Muttermundöffnung bereits der Wehentropf um 15.45h angeschlossen werden? In so kurzer Zeit der Wehentropf immer höher gestellt werden? Heute weiß ich dank vieler Internetrecherchen - Ratgeber stellen ja nur Ideale da - dass dieses Mittel auf die Herzfrequenz des Kindes negative Auswirkungen haben kann. Wie in unserem Fall. Ohne uns das weitere Procedere zu erläutern, wurde dann kristellert und 3mal vergeblich die Saugglocke angesetzt, bevor es doch den Notkaiserschnitt gab.

 

Entscheidung 17.20h. Geburt 17.23h.

 

Mein Mann blieb kurzzeitig alleine im Kreißsaal zurück und brach zusammen. Ich hatte keine Zeit mich um mich oder mein Kind zu sorgen. Ich sah den Kaiserschnitt als Erlösung. Ich weiss noch wie man mich auf dem Weg in den OP wegen der Narkose nach meiner Grösse und Gewicht fragte. Mein Sohn hat einen schweren Geburtsschock erlitten und musste zunächst intensivmedizinisch betreut werden. Heute bekommt er Physiotherapie vermutlich wegen eines Kisssyndromes, wenn ich so seine Symptome sehe.

 

Ich selbst habe laut Aussage meines Mannes nach der Vollnarkose im Aufwachraum meinen Mann gefragt, ob er ein Freund von mir ist. Es gibt Bilder noch von eben diesem Sonntag Abend wo ich im Krankenbett mein Kind im Arm habe. Das sind Beweisfotos. Wenn ich in Ratgebern von den unglaublichen Glücksgefühlen nach den Schmerzen lese, das man den 1. Moment mit seinem Kind ganz genau in Erinnerung behält usw., so kann ich nur mit dem Kopf schütteln und weinen. Auch die nächsten Momente mit meinem Kind sind im Nebel.

 

Erst jetzt kommt so langsam die Sonne zwischen den Wolken hervor. Meine Psychologin spricht von einer sogenannten Anpassungsstörung. Was ich allerdings sehr wohl in Erinnerung habe ist, dass die Tür unseres Ehe/Elternzimmers wie ich es nenne, ein Familienzimmer war es ja nicht, da unser Sohn dieses Zimmer nie gesehen hat, am Montag 25.01.21 nicht still stand. Ich weiss nicht, wen die Klinik alles in unser Zimmer schickte - externer Besuch war wegen Corona nicht möglich. Unsere Freunde haben wir erst am 26.01. abends über die Geburt informieren können, nachdem ich morgens einen Nervenzusammenbruch erlitten habe.

 

    Dass man heutzutage nach einem Kaiserschnitt recht früh mobilisiert wird, okay. Aber eine Frau soll im Wochenbett Ruhe haben. Stress ist Gift für Muttermilch. Uns wurde die Milchpumpe hingestellt und Sie haben jetzt so und so oft abzupumpen, die Brust anzuregen. Dann kam der nächste und legte seinen Flyer auf den verweisten Wickeltisch. Dass viele Stillpositionen nach einem Kaiserschnitt schwerlich möglich sind, schien nicht zu interessieren. Die Nachsorgehebamme verwies später sogar auf Youtube Videos. Kein Wunder also, dass auch mein Kind ein Flaschenkind ist wie ich selbst. Zum Nervenzusammenbruch kam es jedoch nicht wegen des vergeblichen Anlegen der Melkmaschine. Viel mehr konnte ich kaum fassen, dass die Chefärztin mich am nächsten Tag entlassen wollte. Mich, die mal gerade zwischen Bett und Toilette laufen konnte. Nicht mal geduscht war. Höchstens eine Stunde im Rollstuhl bei ihrem Kind sitzen konnte. Bei der Vorstellung der Klinik hieß es noch im Dezember im Livechat Familienzimmer werden versucht zu ermöglichen. Die Aufenthaltsdauer betrüge bei einem Kaiserschnitt in der Regel 4-5 Tage. Bei natürlichen Geburten könnte eine ambulante Entbindung angedacht werden. Nun wurde uns gesagt, die Krankenkasse bezahlt nur 3 Tage inkl. dem Tag der Geburt. Mein Pech, dass mein Sohn erst spätabends geboren wurde. Nur in Ausnahmen könnte man länger bleiben. Die Klinik würde sonst Verlust machen und könne nicht genügend Zimmer vorhalten. Ich wurde dann auf unser Bitten hin zur Ausnahme und blieb bis Donnerstag. Dann wurde ich von der Patientin zur Begleitung meines Sohnes auf der Kinderstation. Dort kehrte endlich mehr Ruhe ein. Entlassen hat man uns auf der Wöchnerinstation mit den Worten bis zum nächsten Mal. Schön, dass die Operation so gut verlaufen ist und bis heute sehr gut verheilt ist.

 

Diese Woche endet bereits mein Rückbildungskurs online. Aber ich fand es doch sehr respektlos wie oft davon ausgegangen wurde, dass wir nach diesen Strapazen ein 2. Kind wollen. Die Geburtsklinik hat zudem das Geburtsgeschenk versäumt zu überreichen. Die Mütze ist zwar nur ein Symbol. Aber mehr Anerkennung der Geburtsleistung hätte mich gefreut. Nach all den Beschwerlichkeiten. Bei einer erneuten Schwangerschaft wäre ich nicht nur wegen des Alters eine Risikoschwangerschaft.

In einem Ratgeber bin ich Wochen nach der Geburt, wo längst schon alle Anträge bearbeitet waren, darauf gestoßen, dass ein Kind auch bei 38+1 als Frühgeburt gilt, wenn es unter 2500g Geburtsgewicht hat. Es sind bei uns zwar nur 10g weniger, aber 10g entscheiden hier über verlängerte Mutterschutzregelungen, mehr Mutterschaftsgeld, weniger Elterngeld. Mittlerweile habe ich von vielen gehört, dass dieses häufiger seitens der Geburtskliniken versäumt wird und von den Eltern aus Unwissenheit nicht eingefordert wird. Medizinisch sind diese Kinder keine Frühgeburt aber so genannte SGA-Kinder, in unserem Fall sogar laut Entlassbericht der Kinderklinik ein VSGA-Kind. Begriffe, die ich erst jetzt auf Grund von viel Eigeninitiative kenne. Ich hoffe sehr, dass es anderen Eltern leichter gemacht wird. In Zukunft mehr aufgeklärt wird. Wozu brauche ich eine Elterngeldberatung oder einen Flyer vom Bundesministerium wenn diese keine Frühgeburten kennen. Was machen Eltern, die nichts lesen ? Die des Deutschen nicht so mächtig sind? Warum darf die Krankenkasse nicht das Geburtsgewicht aus Datenschutz Gründen wissen? Hier wäre eine Kontrollinstanz. Warum wissen Kliniken, die auf die Versorgung von Frühgeburten spezialisiert sind, solche Dinge nicht? Warum werden Eltern nicht besser informiert? Uns wurde nur gesagt, dass unser Kind leichter und kleiner ist als der Durchschnitt, der zu diesem Zeitpunkt geborener Kinder. In unserem Fall eigentlich nicht nur 2 Wochen vor ET sondern gar 5 Wochen. Aber es wurde nichts gesagt, was das für eine Konsequenz hat. Auch der Kinderarzt ging später nicht auf den Bericht ein. Er machte nur die U3, U4, seine Impfung.

Den Begriff Gewalt unter der Geburt oder die Initiative Roses Revolution kannte ich vor wenigen Tagen ebenfalls noch nicht. Leider.
Im Zuge meiner Internetrecherche zu Notkaiserschnittgeburten und Wochenbettdepression bin ich irgendwann zufällig darauf gestoßen. Die meisten Bücher und Videos erklären aber nur den Eingriff als solches und erwähnen den Begriff Baby Blues. Meine Hebamme sagte gar im Wochenbett zu uns es wäre doch alles normal, so lange ich mein Kind nicht schüttel. Das 1. Lebensjahr wäre eben sehr herausfordernd und jedes 2. Paar würde sich trennen.

 

Aber irgendwann fand ich doch noch eine weitergehende Dokumentation des WDR - "Wenn die Geburt zum Albtraum wird". Zudem stiess ich auf Bücher wie "Es ist vorbei, du weißt es nur noch nicht" von Tanja Sahib oder das Buch "Gewalt unter der Geburt- Der alltägliche Skandal" von Christina Mundlos. Wenn man Suchbegriffe wie gerechte Geburt, Interventionskaskaden erstmal kennt, erfährt man so einiges. Dass es kaum noch eine Geburt ohne Eingriffe gibt. Geburtshilfe heute Geburtsmedizin ist. Der Mensch ein Abrechnungsobjekt. Je mehr Eingriffe, desto mehr verdient die Klinik. Wie unrentabel lange natürliche Geburten sind usw.. Aber diese Wörter muss man erst mal kennen und googeln, um zu den passenden Treffern zu gelangen.


Müssig zu überlegen, was gewesen wäre, wenn man meinen Wehentropf anders verwandt hätte. Später. Niedriger dosiert. Ich der Saugglocke widersprochen hätte. Es ist nun mal so passiert. Auch wenn es unwahrscheinlich war, es kein Arzt vorher geahnt hat, auch mein Kind kam genau wie seine eigene Mutter per Notkaiserschnitt zur Welt.

 

Auch mein Sohnes musste in die Kinderklinik und seine ersten Nächte ohne seine Eltern verbringen. Ich konnte es ihm nicht ersparen. Aber wer soll ihm einmal besser seine diffusen Erinnerungen erläutern können als seine eigene Mutter.

 

Ein Mensch, der zwei Notkaiserschnitte in 2 Rollen erlebt hat in seinem Leben.

 

 

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© Kristina Wierzba-Bloedorn