Ilvy

 

 

 

Liebe Ilvy,

Es ist der 22. Juni 2016. Ich halte einen positiven Schwangerschaftsstest in der Hand. Du wolltest also wirklich zu uns kommen. Ab März 2017 sollten wir eine Großfamilie mit 4 Kindern werden. Wir sind alle sehr glücklich darüber und die Schwangerschaft läuft unkompliziert. Ich habe mit starker Übelkeit bis zur 25. SSW zu kämpfen und brauche zum Schluss eine Haushaltshilfe, da der Alltag mit 3 Kindern und großem Haus doch sehr anstrengend ist. Ich bereite mich auf Deine Ankunft mit Yoga und Schwangerschaftsmassage vor. Wir haben eine Beleghebamme und ich wünsche mir eine Wassergeburt. Deine Geschwister freuen sich immer mehr auf dich und besonders Deine große Schwester ist glücklich, dass Du ein Mädchen wirst.

Doch Du liegst bis zur 37. SSW immer noch in Beckendendlage. Irgendetwas scheint Dich an der Drehung nach unten zu hindern. Ich möchte gerne eine BEL Geburt machen. Du bist klein und zart und das vierte Kind. Das sollte doch kein Problem sein. Auch mein Gynäkologe sieht da keine Probleme. Doch meine Wochenbetthebamme Carmen, die schon in der Schwangerschaft mit Deinem Bruder einen siebten Sinn bewiesen hat, rät mir zu einer äußeren Wendung. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt.

Dann kommt der 9.2.2017. ich bin 37+1 und habe einen Termin zur äußeren Wendung in Altona. Ich bin nervös, habe aber meine Mutter und meine Beleghebamme Katharina an meiner Seite. Die Tasche für den Notfall ist im Kofferraum. Meine Mutter hält meine Hand und der Arzt setzt zum ersten Versuch an. Die Voraussetzungen sind eigentlich gut. Du bist sehr zierlich und ich habe ausreichend Fruchtwasser. Keiner zweifelt daran, dass es klappt. Doch nach drei Versuchen, sagt der Arzt, dass es zwecklos ist. Auch ich habe gemerkt, dass Dein Köpfchen immer wieder unter meinen Rippenbogen zurückschnellt. Ich bin erleichtert, dass es vorbei ist. Katharina schaut mich an und sagt zu mir: „Anne, Du holst Dir jetzt einen Termin im UKE. Auch wenn ich Dich dorthin nicht zur Geburt begleiten kannst, ist es wichtig, dass Du Dein Kind spontan bekommst.“ Im UKE sitzt die absolute Koriphäe für BEL Geburten. Ich setze mein ganzes Vertrauen in ihn und bekomme direkt am folgenden Tag einen Termin.

Am nächsten Tag in der Uniklinik. Diesmal bin ich alleine, denn ich denke, es wird nur ein Routinetermin. Der Rest deiner Familie inkl. deinem Papa liegt mit Grippe flach. Ich bin erschöpft von der Krankenpflege. Ich werde aufgenommen, es folgt ein kurzes Gespräch mit einer Hebamme und dann komme ich ins Behandlungszimmer. Der Arzt ist sehr nett, ich kenne ihn noch aus meiner früheren Tätigkeit in der Uniklinik. Er macht einen Kontrollunterschall und stutzt auf einmal. Er wird ganz ruhig und fragt mich: „Hat Ihnen denn noch nie jemand gesagt, dass Sie eine zweigeteilte Plazenta haben?“ Dass es so etwas überhaupt gibt, wusste ich nicht und jetzt sollte ich so eine besondere Plazenta haben?

Und dann sagt er die Worte, die ich wohl nie vergessen werde: „ Ich mache die Geburt so nicht. Das Risiko, dass die Plazenta reißt und dass das Kind verblutet, ist sehr groß. Es tut mir so schrecklich leid.“ Er erklärt noch, dass die Plazentateile durch viele Gefäße miteinander verbunden sind. Diese können unter den Wehen reißen und Du wärest einem großen Risiko ausgesetzt und würdest evtl. nicht überleben. Ich bin fassungslos und in mir bricht eine Welt zusammen. Auch der Arzt ist traurig, dass er mir nach 3 Spontangeburten nun diese Nachricht überbringen muss. Aber ich bin reflektiert und weiß, dass ich für nichts in der Welt dein kleines Leben riskieren würde. Der Arzt sagt mir aber noch, dass es immer einen Grund gibt, wenn bei einer Mehrgebärenden sich das Kind nicht dreht. Du bist sehr schlau, sagt er, und hast immer wieder signalisiert, dass wir besser nachschauen sollen. Ich rufe meine beiden Hebammen unter Tränen an. Aber auch sie wissen, dass es keinen anderen Weg als die Bauchgeburt gibt. Dein Papa ist ebenso traurig wie ich, weiß aber, dass wir Frauen nun die weiteren Entscheidungen richtig treffen werden. Ich treffe mich mit Katharina sofort wieder in Altona und ich bin drin im Prozedere OP- Planung. Der Termin soll schon eine Woche später, am 17.02.2017 sein. Eine Schnapszahl, wie mir später auffällt. Katharina ist an meiner Seite, als ich am CTG liege und gleichzeitig die Fragen der Ärztin beantworten soll. Sie sagt mir, wie sehr sie mich bewundert, dass ich so gefasst bin. Aber was bleibt mir anderes übrig? In den nächsten Tagen fließen noch viele Tränen, aber ich erhalte so viel Unterstützung von außen, dass ich mich getragen fühle. Getragen von lieben Worten meiner Doula Schwestern, getragen von Unterstützung von unserer Familie und von den Freunden und getragen von Zuversicht, dass alles gutgehen wird. Du wirst eine positive Atmosphäre geboren werden, das nehme ich mir für uns vor. Mein ständiger Begleiter in diesen tage: Das rote Armband, das ich von meiner Doula Ausbilderin geschenkt bekommen habe.

Darauf steht: PEACE ON EARTH BEGINS AT BIRTH.

Und dann ist er da, der große Tag. Deine großen Geschwister gehen in die Schule und verabschieden mich liebevoll. Deinen kleinen großen Bruder habe ich schon am Tag zuvor zu Oma und Opa gebracht. Er weiß nicht, dass Du kommst, denn das würde ihn zu sehr aufwühlen. Dein Papa und ich machen uns auf den Weg. Er hat immer noch die Grippe und fühlt sich nicht gut. Ich bin ausgeschlafen und aufgeregt. Um 8.30 Uhr erreichen wir den Kreißsaal. Katharina wartet schon auf uns und ich komme direkt ans CTG. Sie sieht Deinen Papa an und entscheidet, dass er nicht mit in den OP darf. Das Risiko ist zu groß. Ich bin ehrlich gesagt erleichtert und er ebenso. Er hätte es nur für mich getan, und ich hätte mich dauernd noch um ihn sorgen müssen. So sind wir alle zufrieden. Wir machen es uns im Kreißsaal gemütlich und müssen sehr lange warten. Ich bekomme tatsächlich Wehen. Du möchtest anscheinend wirklich an diesem Tag auf die Welt. Glücklich veratme ich meine Wehen und freue mich über jede neue Welle, die kommt. Dann betritt die Anästhesistin mit den Worten: „Frau Martensen-Hundt, wie schön, dass sie wieder da sind.“ den Raum. Ich kennen sie noch von der letzten Geburt und sie erinnert sich auch noch an mich. Ich bin also von Menschen umgeben, die mir bekannt sind. Ein schönes Gefühl. Und dann kommt der Gang in den OP. Ich verabschiede mich von Deinem Papa und mit jedem Schritt werde ich selbstbewusster und sicherer. Im OP ist gute Stimmung. Ich konnte alles selbst planen, soweit es möglich war. Ich habe mein bellyband anlassen dürfen, damit Du gleich zum Kuscheln zu mir kommen kannst. Das Vaginal seeding ist leider aufgrund einer Infektion nicht möglich. Die Spinalanästhesie liegt nach 2 Versuchen und die Vorbereitungen laufen. Dir geht es die ganze Zeit super und ich lache und scherze mit den OP-Pflegern. Hinterher wird mir gesagt, dass sie schon lange nicht mehr so eine gut gelaunte Schwangere im OP hatten. Ich glaube, ich bin einfach nur auf Adrenalin und Oxitycin. Ich freue mich so auf Dich und meine Angst ist wie weggeblasen. Ich weiß, dass gerade ganz viele Menschen an mich denken und das trägt mich durch diese OP. Und dann geht alles ganz schnell. Der Oberarzt informiert mich, dass Du gleich da bist. Und dann steht für einen Moment die Welt still. Du wirst über den Vorhang gehalten und ich sehe dein unglaubliches Wuschelköpfchen. Nach einer kurzen Untersuchung legt Katharina Dich direkt auf meine Brust. Du bist so klein und zart und bist wunderschön. Ich kann Dich anfassen und streicheln und Du fängst wirklich an zu schmatzen. Doch da Du sehr zart bist, musst du raus aus dem kalten OP, denn Du bist leicht unterkühlt. Ich werde zugenäht, der Vorhang wird gesenkt und da habe ich den einzigen Panikmoment. Ich sehe, wie meine Beine bewegt werden, aber ich spüre nichts. Ein fürchterliches Gefühl.

Zurück im Kreißsaal, darf Dein Papa Dich nur mit Handschuhen und Mundschutz anfassen. Für ihn ein trauriger Moment. Du wiegst 2780g, immerhin 600g mehr als Dein kleiner großer Bruder. Da Du Schwierigkeiten hast, die Temperatur zu halten, kommst Du auf meine nackte Brust, zugedeckt mit meiner Wolljacke. Da gehörst Du hin und ich gebe Dich nicht mehr her. Dein Papa füttert mich mit Mittagessen und wir sind einfach nur glücklich, dass alles gut gegangen ist. Die Tage danach sind schmerzhaft und anstrengend. Eine Erfahrung, die ich so nicht erwartet hätte. Und trotzdem trage ich Dich schon 2 Tage nach der Geburt im Tragetuch über die Station.

Und nun sitze ich hier, Monate später. Ich schaue Dich beim Stillen an und danke Gotte jeden Tag dafür, dass dieser eine Arzt Dich mit seiner Diagnose gerettet hat. Ich hätte mich mit dem Wissen um die feinverzweigte geteilte Plazenta nicht entspannt auf eine Spontangeburt einlassen könne. Ich hätte keinen Arzt in ganz Hamburg gefunden, der mich begleitet hätte, denn das, was Dr. O. im UKE sagt, hat Gewicht. Du wurdest in eine friedliche OP Atmosphäre hineingeboren, so wie ich es wollte.

Ich sehe meine Narbe und sie hat wirklich bis heute gebraucht, um zu verheilen. Aber sie ist nun ein Teil von mir und wird mich immer daran erinnern, dass es für uns gut war, dass es den Kaiserschnitt gibt. Ich werde Dir irgendwann erklären, dass nur Du durch diesen Schlitz, oder die Tür, wie Dein kleiner großer Bruder sagt, gekommen bist. Ich bin im Reinen mit der Situation, auch wenn ich das nicht gedacht hätte.

Danke an Alle, die mich und uns unterstützt haben.

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© Kristina Wierzba-Bloedorn