Als ich vor 11 Jahren anfing als Doula zu arbeiten, war ich voller Vorfreude und Begeisterung. Ich habe mit so viel Liebe diese Arbeit ausgefüllt und es als absolute Bereicherung erlebt. Dass mich zunächst noch fremde Frauen baten, sie bei der Geburt ihres Kindes zu begleiten, erfüllt mich noch heute mit Demut.
Vor mehr als einem Jahr habe ich dennoch beschlossen, nicht mehr als Doula für Geburtsbegleitungen zu arbeiten. Und ich fühle mich freier und gesünder, seit ich diese Entscheidung getroffen habe.
Ich habe in den ganzen Jahren so ziemlich alle Geburtsformen und Geburtsorte gesehen – abgesehen von der Alleingeburt, die ich grundsätzlich nicht begleite. Ich sah Kinder, die im Krankenhaus, im Geburtshaus und als Hausgeburt zur Welt kamen. Viele außerklinische Geburten waren dabei. Ich sah Kinder, die mit dem Po oder den Füßen zuerst vaginal geboren wurden, mit der Zange, mit einer Saugglocke geholt wurden, Geburten nach Einleitungen, Kaiserschnitte – geplant und ungeplant, vaginale Zwillingsgeburten, Wassergeburten, Geburten auf dem Gebärhocker, in Rücken- und Seitenlage und viele VBACs.
Neben der großen Freude, der Dankbarkeit und der intensiven Liebe und vielen schönen Erinnerungen an wunderbare Geburtsbegleitungen, gab es aber auch viele Schattenseiten. Ich muss leider sagen, dass ich auch sehr viel Gewalt gesehen habe.
Ich habe gesehen, dass zwar die Wahrscheinlichkeit für Gewalt während der Geburt vermindert ist, wenn eine Frau außerklinisch gebärt, aber dass auch außerhalb eines Krankenhauses Geburtshelfer Gewalt ausüben.
Für mich persönlich war dies mit der Zeit immer untragbarer und ich will beschreiben, was mich daran besonders belastet hat.
Ich war Zeuge von einer vielfach durch Manipulation, Lügen und gewalttätigen Übergriffen geprägten Geburtshilfe. Ich konnte sehen, wie Hebammen ihre Aggression über mangelnde Geburtsfortschritte an den Frauen ausgelassen haben, durch eine gewalttätige Kommunikation und z.B. unsensible Untersuchungen. Ich habe gesehen, wie Frauen unnötige Eingriffe aufgeschwatzt wurden, wie z.B. eine PDA oder Einleitungen und Kaiserschnitte. Ich habe gesehen, wie Frauen ausdrücklich ein Nein aussprachen und Geburtshelfer sich darüber hinwegsetzten. Die Aussagen, Übergriffe, ungefragten Eingriffe, ausgesprochenen Empfehlungen, welche ich gehört und gesehen habe, haben sehr oft jeder Evidenz widersprochen. Es hat mich erschreckt, wie manipulativ gearbeitet wurde. „Empfehlungen“ wurden den Familien aber als in Zement gemeißeltes Gesetz verkauft. Scheinbar ohne Wahlfreiheit.
Ich bin selber immer wieder geschockt und traumatisiert aus Geburten hinausgegangen. Ich tue mich schwer damit, Zeuge von einer sinnlosen und gewalttätigen Geburtshilfe zu sein. Und die Tatsache, dass ich mich damit schwer tue, ist ein gesundes Zeichen. Und ich glaube, dass dies ein Problem ist, welches längst nicht nur mich betrifft, aber über das selbst in Doulakreisen nicht gern gesprochen wird. Es bleibt ein Tabu. Gewalt in der Geburtshilfe? Das gibt es doch nicht….!
Nun durfte und wollte ich mich dazu nie äußern. Wenn ich also unter einer Geburt sah, wie das Personal der Geburtshilfe sich fahrlässig und gewalttätig verhielt, durfte ich mich dazu nicht positionieren. Die Familien müssen ihre Entscheidungen selber treffen und das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Baustein. Und eine Doula, die aufmuckt, wird schnell des Kreißsaals verwiesen. Mir ist das nie passiert. Ich war immer schön geduldig, angepasst und freundlich. Aber ich habe dies von anderen Doulas gehört. Als Doula darf ich mich zu den meisten Aspekten nicht äußern und es zählt nicht, was ich will oder gut finde. Und das finde ich grundsätzlich auch richtig.
Einzig was die Familie will und ihr Geburtserlebnis ist der Mittelpunkt.
Aber ich habe für mich die Entscheidung getroffen,
dass ich nicht mehr länger die Person sein möchte,
die den Frauen dabei hilft, diese Art von Geburtshilfe
auszuhalten.
Und ich will auch nicht mehr den Mund halten müssen, nur weil ich als „Laie“ und Doula „ja keine Ahnung“ habe. Ich habe auch den Eindruck, dass dies innerhalb der Doulakreise wenig diskutiert wird und ich glaube persönlich, dass viele Kolleginnen dies bewusst oder unbewusst ausblenden, weil sie sich und ihre Arbeit dadurch in Frage gestellt fühlen.
Ich habe erlebt, wie Menschen versucht haben, wenn ich ihnen gegenüber von den Erlebnissen gesprochen habe, dies zu relativeren. Ich bekam mehr als einmal zu hören, dass das aber ja bestimmt nur mein Empfinden wäre, die gebärende Frau würde das eventuell ja ganz anders sehen. Möglicherweise ist dies so. Wenn Frauen die Geburtshilfe in Frage stellen, tun sie das häufig erst nach längerer Zeit. Manchmal auch nie. Manche von ihnen, weil sie sich das nicht zugestehen wollen, denn es würde ihr Bild von den fürsorglichen Geburtshelfern nur in Frage stellen und nun zu sehen, dass dies nicht immer die Realität ist, schmerzt zu sehr. Und andere, weil sie sich wirklich wohl gefühlt haben und es ihrem Verständnis von Fürsorge entsprach, wobei es mir schwer fällt, das zu glauben. Auch Unterstellungen waren dabei. Ich würde das nur als Gewalt empfinden, weil ich bestimmt selber mal Gewalt erfahren hätte. Als ob Gewalt erst zu zu Gewalt wird, wenn man selber vorher Gewalt erfahren hat. Oder ich bekam zu hören, dass die Geburtshelfer doch nur ihr Bestes getan hätten, dass das doch sicher notwendig gewesen wäre. Ja, es schmerzt….
Nichts, aber auch NICHTS darf Gewalt rechtfertigen.
Mich hat das geschockt, dass Menschen Gewalt so schnell relativieren und sich lieber hinter einem Wunschbild verstecken, als sich der Realität zu stellen und das eben auch durch Kolleginnen, Frauen, die die Problematik in der Geburtshilfe kennen. Ich muss aber auch feststellen, dass auch andere Menschen, die mit dem Thema Geburt nicht vertraut sind, ungläubig schauen, wenn ich von Gewalt in der Geburtshilfe berichte. „Gewalt, das ist so ein großes Wort. Ist das wirklich angemessen, es zu benutzen in diesem Zusammenhang? Die würden doch nie unnötig Eingriffe vornehmen...“
Vor Jahren habe ich mal einen Bericht gelesen, in welcher eine Hebamme anonym von ihrer Zeit in einer Klinik berichtete. Sie berichtete davon, dass sie dazu angehalten wurden, eine bestimmte Höhe von Kaiserschnitten zu halten, auch wenn diese medizinisch unnötig waren. Sie wurde dazu genötigt, den Frauen die operative Geburt aufzuschwatzen und berichtete, wie viele ihrer Kolleginnen das Spiel mitspielten und schwiegen. Als Konsequenz kündigte die Hebamme.
Ich weiß, dass die Menschen, die jeden Tag in der Geburtshilfe arbeiten, einen harten Job haben. Sie machen eine wichtige Arbeit und sie leiden auch unter den Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Aber das rechtfertigt niemals Gewalt! Ich kann es drehen und wenden wie ich will – ich komme immer zu dem selben Ergebnis. Gewalt bleibt Gewalt und es gibt nichts, was dies legitimiert. Wenn in der Presse von Gewalttaten geredet wird, kommt im Bezug auf den oder die Täterin immer ein Hinweis auf deren/dessen schlechte Kindheit. Aber nur weil ein Geburtshelfer unter seinen schlechten Arbeitsbedingungen leidet oder vielleicht mal selber schlechte Gebärerfahrungen gemacht hat, gibt dies ihm/ihr das nicht das Recht, Gewalt auf andere auszuüben.
Doulaarbeit kann hilfreich und wertvoll sein. Ich bin dankbar und stolz, dass es viele Kolleginnen weltweit gibt, die gern und gut als Doula arbeiten. Indirekt beeinflusst die Doulaarbeit unsere Geburtshilfe und das ist machtvoll. Eine Frau, die sich mit der bevorstehenden Geburt intensiv auseinandersetzt, sich mit ihren Optionen beschäftigt und Selbstbewusstsein hat oder erlangt im Bezug auf ihre Gebärfähigkeit, wird unter der Geburt auch die sie umgebenden Menschen beeinflussen. Eine Doula ist und bleibt immer unabhängig und darin liegt ihre große Stärke. Und ich denke weiterhin, dass es gut ist, wenn Frauen, die sich eine Doula wünschen, diese finden können!
Ich erinnere mich außerdem an viele sensible und achtsame Geburtshelfer (Hebammen und ÄrzteTINNEN), die sich liebevoll und mit Respekt während einer Geburt verhielten. Es gibt tolle Menschen auf diesem Gebiet, engagiert und offen – im Krankenhaus, wie auch außerklinisch. Wie gut, dass es sie gibt!
Ich schließe nicht aus, irgendwann wieder als Doula zu arbeiten. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Mein Herz ist gefüllt mit vielen schönen Geburtsbegleitungen. Aber derzeit überwiegen in mir die negativen Erfahrungen und ich kann mich nicht mehr damit identifizieren und die Bedingungen sind für mich persönlich untragbar geworden.